Dr. Jur. Theodor Schramm

weitere Veröffentlichungen


Tagungsberichte u.a. in MDR 1964, 22; DRiZ 1964, S. 51 f.

Urteilsanmerkungen
u.a. zum Urteil des BVerfG vom 1. 3. 1979 über die erweiterte Mitbestimmung, DVBl. 1979, S. 413 f.;
zum Urteil des BVerfG über § 218 StGB DVB1. 1980, S.130


Die Herausforderung eines Jurastudiums (Stand 2012)
Eines gleich vorweg: Es gibt wohl kein vergleichbares Studium, bei dem der Erwartungshorizont eines Schulabgängers nach dem Abitur sich so sehr von dem unterscheidet, was ihn im ersten Semester an der Universität erwartet, wie nach seiner Entscheidung für das Studium der Rechtswissenschaft. Flammende Plädoyers des Verteidigers vermögen den – natürlich völlig zu Unrecht angeklagten – Delinquenten vor großer Ungerechtigkeit zu bewahren. So kennt man es nun einmal aus Filmen und Gerichtsshows des Fernsehens.

Was davon übrig bleibt sind „flankierende Veranstaltungen zur Meditation, Verhandlungsführung, Rhetorik und Vernehmungslehre“ (so beispielweise die durchaus fortschrittliche Information der Uni Augsburg). Die Einsicht, dass unschuldig Angeklagte, die herausgepaukt werden müssen, eher die seltene Ausnahme sind, wird dem angehenden Juristen ohnehin erst die spätere Praxis, dafür aber umso eindringlicher, verschaffen.

Der Jurastudent wird vielmehr zunächst vertraut gemacht mit den recht komplizierten Regelwerken, die der Gesetzgeber in mühevoller legislativer Arbeit erstellt hat, allen voran mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, in fünf Abschnitte untergliedert, dessen innere Systematik sich nur mühsam erschließt. Dabei handelt es sich nur um einen Teil des umfangreichen Prüfungsstoffs neben dem öffentlichen Recht mit Staatsrecht und Verwaltungsrecht, Strafrecht und den Prozessordnungen, nicht zu vergessen das Wirtschaftsrecht etc., wobei der Kandidat das gesamte Wissen bei den Examina präsent haben sollte. Eine „Abschichtung“, die eine Konzentration auf einen Teilbereich mit jeweils abschließender Prüfung wie im Medizinstudium zulässt, ist ihm verwehrt, allerdings mit einer recht neuen Ausnahme: im dritten Studienjahr können die Studierenden sich auf einen Schwerpunktbereich in einem von sieben Spezialisierungsschwerpunkte konzentrieren, deren Erfolg mit einer eigenen universitären Prüfung bestätigt wird. An der Gesamtgewichtung des Staatsexamens schlägt dieser Teil immerhin mit 30% zu Buche.

Der Anfänger nimmt erleichtert zur Kenntnis, dass man die einzelnen Paragrafen, die es künftig anzuwenden gilt, keineswegs „auswendig lernen“ muss, man darf sie, auch im Examen, nachschlagen. Dieses Zugeständnis, das zunächst hoffnungsfroh stimmt, weicht aber angesichts einer anderen Erkenntnis der Ernüchterung: Zu jedem einzelnen Paragrafen – auch das ist für den Kandidaten in der Vielzahl und Vielfalt überraschend - gibt es Rechtsprechung und Lehrmeinungen zuhauf, die im Extremfall mehrere hundert Seiten zu einem einzelnen Paragrafen ausmachen können (vgl. etwa die Kommentierung zu § 242 BGB „Treu und Glauben“ im Staudinger-Kommentar).

Die sich früh einstellende Erfahrung bei einem ersten Besuch in der juristischen Bibliothek führt gelegentlich zu offener Resignation. Mitten aus der Hörerschaft wurde ich beispielsweise einmal zu einer Antwort auf folgende Frage aufgefordert: „ Sie sagen es und Nietzsche sagt es noch besser: In jeder Erkenntnis steckt ein Irrtum. Warum soll ich mir das alles einpauken, wenn es doch nur die Darstellung eines Irrtums ist?“ Ich habe ihm damals geantwortet: „Bei den juristischen Staatsexamina wird nur erwartet, dass Sie den neuesten Irrtumsstand beherrschen, mehr wird gar nicht verlangt.“

Um es deutlich zu sagen: Wer versucht, die historischen, rechtsphilosophischen oder soziologischen Grundlagen in allen Fällen kritisch zu hinterfragen, wird angesichts der Stofffülle sein Pensum nicht in acht Semestern bewältigen können. Natürlich gibt es wichtige Ausnahmen, keinesfalls soll der Oberflächlichkeit das Wort geredet werden –um Himmels Willen, wie könnte dies auch verantwortet werden, wenn man selbst eine „Einführung in die Rechtsphilosophie“ vorgelegt hat. Dennoch bleibt die Zielvorgabe: Es müssen im Examen Klausuren geschrieben, in einigen Ländern wie z.B. Nordrhein-Westfalen auch Hausarbeiten eingereicht werden. Meist handelt es sich dabei um wirkliche oder fiktive „Fälle“, die „gelöst“ werden müssen.

Andere Studenten resignieren nicht in grüblerischem Nachdenken, sondern handeln angesichts der Überfülle des Informationsangebots nach dem forschen Prinzip „Mut zur Lücke“. Schon etwas besser! Aber natürlich keine Lösung.

Anders als zu Beginn meines eigenen Studiums in den 60-er Jahren nimmt die Universität die Studenten an die Hand (wobei man natürlich trefflich darüber streiten kann, ob dies in ausreichendem Maße geschieht). Neben den Vorlesungen gibt es Arbeitsgemeinschaften und Tutorien und Semesterabschlussklausuren. Insbesondere das Klausuren schreiben erweist sich als besonders hilfreich, wenn es gilt, den eigenen Kenntnisstand zu überprüfen. Das Auffinden der jeweils einschlägigen Paragrafen, ihre Reihenfolge zu einander und ihre Auslegung erschließen sich am ehesten bei der jeweiligen Fallanwendung und natürlich wächst dabei die Erkenntnis, dass nicht alle Gesetzesregeln von gleicher Relevanz sind, der Jurastudent wird die „wichtigen“ Normen und die damit verbundenen Rechtsfragen am ehesten aufgrund einer Klausurenpraxis kennen lernen.

Natürlich ist der Jurist alles andere als ein „Subsumtionsautomat“. Die Juristerei ruht nun einmal auf den Säulen Logik und Gerechtigkeitsempfinden, beide sind unentbehrliche Voraussetzungen für Rechtserkenntnis. Später, in der beruflichen Praxis, aber das sollte ich einem Studenten vielleicht nicht verraten, um ihn nicht zu demotivieren, ist die richterliche Urteilsfindung nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts „ein voluntativer Akt“. Voluntativ bedeutet natürlich nicht Willkür, sondern fordert den Richter auf, aufgrund seiner in zwei Staatsprüfungen und einer zweijährigen Referendarzeit erworbenen Rechtskenntnisse sowie seiner Lebenserfahrung seine Entscheidung zu fällen und zu verantworten.

Bleibt die Schlussphase der Examensvorbereitung: Uni und/oder Repetitor? Die Uni Augsburg bietet beispielsweise im vierten Studienjahr das „Augsburger Examinatorium“ an und begründet dies im Internet mit einem wehrhaften „…die Juristische Fakultät (lässt) sich die unmittelbare Examensvorbereitung nicht aus der Hand nehmen.“

Da ich dreißig Jahre als Repetitor tätig war, brauche ich meine Antwort sicherlich nicht ausdrücklich zu formulieren. Die Staatsprüfung wird – trotz aller Proteste von Hochschullehrern - bei einer Gewichtung von 70 % von einer Kommission abgenommen, der Praktiker angehören, vornehmlich Richter, aber auch Staatsanwälte und auch Rechtsanwälte. Repetitoren sind regelmäßig Rechtsanwälte, die es sich u.a. zur Aufgabe machen, die Prüfungsfragen und – Klausuren am Studienort zu analysieren und den Kandidaten zur Kenntnis zu bringen. Man kann ein Examen auch ohne Repetitor bestehen. Aber ob es sinnvoll ist, auf dieses zusätzliche Angebot zu verzichten, muss jeder für sich entscheiden. Die Begabung, juristisches Wissen zu vermitteln, ist nun einmal nicht gleichmäßig verteilt, dies gilt gleichermaßen für Professoren wie für Repetitoren. Gespräche mit Kandidaten, die ihr Examen erfolgreich abgeschlossen haben, können insoweit Entscheidungshilfe leisten.

Eine Bemerkung zum Schluss: Im Jahre 2003 ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die universitäre Ausbildung revolutioniert hat.: zum ersten Mal in der Geschichte der juristischen Ausbildung wurden die Universitäten gezwungen, neben der wissenschaftlichen Ausbildung berufsvorbereitend mit Praxisbezug zu unterrichten, denn bis dahin kamen nach der Gesetzesbegründung „…Aufgaben und Arbeitsmethoden der gerichtlichen und außerordentlichen Parteivertretung, der Rechtsberatung und Rechtsgestaltung im privaten und öffentlichen Recht sowie der Strafverteidigung, der Konfliktvermeidung und Streitschlichtung zu kurz. Dabei soll die Förderung der anwaltsorientierten Juristenausbildung bereits an der Universität beginnen…“ Jetzt liest es sich im Internet, die Uni bereite vor „auf einen erfolgreichen Einstieg in die berufliche Zukunft“ und die dritte Phase der Vorbereitung diene „der Vorbereitung auf „die Prüfung und die berufliche Praxis“ (Uni Augsburg). Es hat lange gedauert, die juristische Ausbildung „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen. Ist es unbescheiden, wenn ich anmerke, dass ich an dieser so notwendigen Entwicklung nicht ganz unbeteiligt bin? (Wer sich für Details interessiert, kann dies im Einzelnen nachlesen in meinen Büchern: „Haus des Deutschen Rechts“ –Die Geschichte eines juristischen Repetitoriums 1964-1993, und: Der Repetitor. Die Erinnerungen einer frei im Raum schwebenden Existenz (S. 118 ff.).

Ja – wird mancher jetzt einwenden – alles schön und gut, aber warum haben Sie nach drei Jahrzehnten nicht ein ganz anderes Buch herausgegeben mit dem Titel: „Jura, leicht gemacht, in Bildern?“ Wo bleibt die Comic-Version? Wo ist denn nun der Königsweg für den Jurastudenten, was ist denn nach dreißig Jahren Ausbildungserfahrung die Quintessenz? Natürlich kenne ich diesen Weg und er lässt sich auf ein Wort reduzieren: Fleiß!

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Einmal im Jahr gab es statt der Besuche in Berlin, Bonn und beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Exkursionen nach Europa.

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Ziele bei den Exkursionen nach Europa waren Parlamente und Gerichtshöfe u.a. in London mit einer Teilnahme an einem Strafverfahren in Old Bailey und Empfang durch die englische Anwaltschaft in den Inns of Court, in Paris, vor allem aber Straßburg und Brüssel. In Luxemburg konnte gleichermaßen die Teilnahme an einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof vermittelt werden. Gelegentlich trafen sich die Teilnehmer meines Repetitoriums auch zu einem geselligen Zusammensein und regen Gedankenaustausch außerhalb des Lehrraums (hier beispielsweise im Sommer 1984 im Garten hinter dem Haus) bei einem Glas „Kölsch“ (oder - versteht sich - Mineralwasser).
 

Brief an einen jungen Juristen

Beruflich erfolgreiche Juristen berichten gelegentlich in veröffentlichten Briefen an die ihnen nachfolgende Generation über ihre eigenen beruflichen Erfahrungen. Diese verdienstvollen Erinnerungen sind vielschichtig wie die Lebensbereiche, mit denen sich die Rechtswissenschaften befassen – sie umfassen in der Bandbreite nahezu die gesamten öffentlichen und weitgehend reglementierend auch private gesellschaftliche Bereiche.
Dreißig Jahre habe ich als Repetitor und privater Rechtslehrer Studenten zur Examensreife geführt. Nach Beendigung meiner Lehrtätigkeit habe ich später, nach einigen Jahren Auszeit, mit großem Interesse bei zahlreichen „Ehemaligentreffen“ über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren den Berichten meiner „Schüler“ über deren berufliche Karrieren und Werdegänge zugehört, die nach der grundlegenden Ausbildung im juristischen Studium erreicht wurden – und es waren gute Geschichten, allesamt, ohne Ausnahme. Fünfzig Jahre zeitgleicher forensischer Erfahrung als Anwalt mögen zudem zureichende Legitimation und begründete Verpflichtung sein, Erfahrungen und Erkenntnisse an Jüngere in der Erinnerung vorzutragen. Es ist an der Zeit.



Dies ist nun mein Brief.
 Januar 2015


Liebe junge Kollegin oder erwartungsvoller Kollege! Sie haben sich also an einer Universität für das Studium der Rechtswissenschaft eingeschrieben. Recht so. Denn Sie haben sich einem der lebendigsten und faszinierendsten wissenschaftlichen Gebiete zugewandt, das Sie lebenslang beschäftigen und fordern und – das verspreche ich Ihnen – niemals in Langeweile einmünden wird. Es ist unerheblich, was Sie zur Aufnahme des Studiums bewogen hat, ob Sie einer Juristenfamilie entstammen oder dem Rat der Eltern gefolgt sind, „erst einmal etwas Solides zu studieren, das Sie später auch ernähren kann“. Da Wissen nicht vererbbar ist sondern jeweils neu erworben werden muss, bleiben die Startbedingungen vergleichbar.
Begreifen Sie die Ihnen gewährte Aussicht auf ein Studium als Ihre große Chance. Nutzen Sie die Möglichkeiten des Kenntniserwerbs ,die sich in den nächsten Jahren öffnet. Erforschen Sie den „Geist der Gesetze“ (Montesquieu) in aller gebotenen Gründlichkeit. Wenn Sie erst einmal beruflich eingebunden sind, werden Sie kaum noch den Luxus vorfinden, sich der Erschließung juristischer Problemstellungen in aller Ausführlichkeit widmen zu können.
Und geben Sie bei Misserfolgen beim „Scheinerwerb“ an der Uni nicht gleich auf, sondern verstärken Sie Ihre Anstrengungen, suchen Sie neben der Einsamkeit am Schreibtisch auch das fachbezogene Gespräch mit Ihren Kommilitonen, gemeinsam lassen sich manche Hürden leichter nehmen.
Bei allem berechtigten Nachdenken über Inhalt und Sinn von einzelnen Normen und Zusammenhängen: Prägen sie sich die wichtigsten Rechtsregeln und Definitionen ein. Sie sind die hilfreichen Brücken zur Subsumtion angesichts der häufig allgemeinen und pauschalierenden Gesetzesbegriffe. In späteren mündlichen Verhandlungen vor Gericht werden sie punkten, wenn Sie Ihr Wissen abrufbereit präsentieren können – trotz der in vielen Verfahren üblichen Bezugnahme auf die Akten. Die mündliche Verhandlung ist (immer noch) der gesetzlich vorgeschriebene Regelfall.
Vielleicht haben Sie auch beim Lesen dieses Briefes bereits das erste Staatsexamen bestanden und noch zwei Jahre Praxis vor sich (nicht mehr dreieinhalb – gegen diese Überlänge angesichts fortgeschrittenen Lebensalters und zunehmend individual gefestigter Lebensumstände habe ich erfolgreich argumentieren können). Suchen Sie Ihre Stagen bei Justiz, Verwaltung und Anwalt sorgfältig aus und schauen Sie Ihren Ausbildern, soweit möglich, sorgfältig über die Schultern, vielleicht können Sie das Geheimnis ihres Erfolges ergründen.
Die konkrete Entscheidung für Ihre künftige berufliche Tätigkeit steht definitiv und unausweichbar an. Sie müssen sich festlegen, allerdings erst jetzt und nicht zu früh oder vorzeitig.
Sie werden – allerdings nur bei guten Prüfungsergebnissen (sog. Prädikatsexamen) und positiven Stagenzeugnissen - die Wahl haben innerhalb der Justiz und der vorgegebenen Stellenofferierung.
Der Staat behält dem Juristen den unabhängigsten Beruf vor, den er zu vergeben bereit ist: den des Richters. Gegenwärtig gibt es in Bund und Ländern 20.382 Richterinnen und Richter, der Anteil der Frauen beträgt 40,16 % (Bundesamt für Justiz, Stand 31. 12. 2012).

Im Unterschied zu einem Staatsanwalt ist ein Richter während seines gesamten Berufslebens unabsetzbar und unversetzbar, soweit er sich nicht schwere Straftaten vorhalten lassen muss. Dies gilt uneingeschränkt - relativiert nur durch Qualifikation und eigenen Ehrgeiz - solange er sich mit der einmal gewährten Position zufrieden gibt. Auch ein Richter hat sich Beurteilungen zu stellen, die ausschlaggebend für eine Beförderung sein können. Regelmäßig wird vor einem Karrieresprung bei der Berufungsinstanz oder Revisionsinstanz die Qualität der richterlichen Entscheidung nachgefragt.
In der Praxis führt heute die Anstellung als Richter über eine mehrjährige Tätigkeit als junger Staatsanwalt, die von den Justizverwaltungen zunehmend als eine Art Vorstufe verstanden wird. Unter den 5.231 Staatsanwälten in Bund und Ländern sind 1.030 Richterinnen und Richter auf Probe (Quelle: Bundesamt).
Die Besoldung in den einzelnen Bundesländern weicht um 20 % voneinander ab, an der unteren Skala liegt das Saarland, an der Spitze steht u.a. Hamburg. Dementsprechend wird vom Deutschen Richterbund das durchschnittliche Einkommen eines ledigen Berufsanfängers auf 45 048 € taxiert. Das Bundesverfassungsgericht, überprüft zurzeit (2015) die Besoldungsordnung kritisch, nachdem sich herausgestellt hat, dass die Verdienstmöglichkeit weit unter den Gehältern in anderen europäischen Ländern liegt (u.a. Schottland: 157 312 €, Norwegen: 130 737 € Niederlande 74 000), so dass nach den vorliegenden Äußerungen von Verfassungsrechtlern mit einer alsbaldigen Aufbesserung gerechnet werden kann
Immer bleiben die Möglichkeiten des freien Berufs, es gibt keinen numerus clausus bei den Zulassungskriterien. Die Tätigkeit eines Anwalts ist – unbeeindruckt von der heute üblichen Spezialisierung - von großer Vielfalt und breit gefächert wie das Leben selbst. 
Immer häufiger entscheiden sich Assessoren, als Anwalt in eine Sozietät einzutreten oder - auch das ist die Realität – einzukaufen oder aber von dieser mit Aussicht auf eine spätere Sozietät anstellen zu lassen. Die Vorteile (Aufteilung der Terminwahrnehmungen,
Urlaubsvertretung, Aushilfe im Krankheitsfall) sind nicht von der Hand zu weisen. Die potentielle Mandantschaft ist inzwischen „aufgeklärt“: und erwartet zunehmend für die Übernahme des Mandats eine Zulassung als Fachanwalt, das sollten Sie in Ihre Überlegungen mit einbeziehen und nach der Anwaltszulassung anstreben. Ein weitgehend spezialisierter Interessenvertreter ist auch der sog. Boutiquenanwalt. Die Tätigkeit als „Generalist“ wird immer mehr zur Ausnahme.
Sollten Sie gezielt oder mangels anderer konkreter Möglichkeiten volles Risiko fahren und sich als Einzelanwalt selbständig machen wollen, gilt außerhalb der Examensnotung eine andere Werteskala: Ihre juristischen Kenntnisse sind erst gefragt, wenn Sie das Mandat haben. Neue Mandanten erscheinen äußerst selten aufgrund des Anwaltschildes, das Sie neben der Eingangstür zu Ihrer Kanzlei haben anbringen lassen. Wichtiger sind, solange jedenfalls als sich Ihr Ruf als qualifizierter Anwalt noch nicht gefestigt und herumgesprochen hat, Kontaktfreude und Engagement in Parteien, Vereinen und anderen gesellschaftlichen Gruppierungen, um sich potentiellen Klienten vorzustellen und deren Vertrauen zu erwerben. Erst nach Beauftragung können Sie beweisen, was Sie juristisch „auf dem Kasten“ haben.
Achten Sie auf Ihren Ruf, er wird zum Bestandteil Ihres good will. Wahren Sie trotz allen gebotenen Einsatzes für die Interessen Ihres Mandanten Ihre Unabhängigkeit. Zu große Nähe rächt sich spätestens dann, wenn Sie sich wegen eines Beihilfevorwurfs zu deren Missetaten zu verantworten haben.
Vorsicht ist auch geboten bei außeranwaltlicher Wirtschaftsbetätigung. Bei einem Konkurs des Wirtschaftsunternehmens, dem Sie als persönlich haftender Gesellschafter beigetreten sind, verlieren Sie auch Ihre Anwaltszulassung.
Eines sollten Sie bei Ihrer Entscheidung berücksichtigen: die Anforderungen an Physis und Psyche werden beachtlich sein, gleich für welche „Sparte“ Sie sich auch entscheiden sollten.
Als Richter und Staatsanwalt werden Sie uneinsichtige Kläger und Beklagte, renitente Angeklagte und aufbegehrende Straftäter zu beurteilen haben. Die notwendig gewordenen Eingangskontrollen an den Gerichten sprechen eine deutliche Sprache.
Als Anwalt werden Sie sich auch Kollegen gegenüber zu behaupten haben. Trotz aller durchaus vorfindbaren Kollegialität wird mit harten Bandagen gekämpft, aber seien Sie zuversichtlich, die Griffe in die prozessuale Trickkiste werden Sie bald durchschauen. Ob ein Ehrenkodex, der allerdings bisher unverbindlich diskutiert wird, reglementierend eingreifen sollte, ist innerhalb der Anwaltschaft lebhaft umstritten. Es ist der Lohn und Preis der Freiheit, dass niemand außer Ihr Gewissen Ihr Verhalten normativ regulieren kann, so nicht der Gesetzgeber klare Weisungen erteilt hat. Vornehm geht es im Übrigen erst innerhalb der beim BGH zugelassenen Anwaltschaft zu, wenn man jedenfalls deren Eigenbekundung glauben darf.
Sie werden auch als junger Anwalt Mühe haben, die Termine an verschiedenen Gerichten zeitlich zu koordinieren und wahrzunehmen, was Ihre älteren Sozietätskollegen als selbstverständlich erwarten. Für alle wird es Wochen und Monate geben, in denen Sie sich vor Arbeit kaum eine freie Stunde, geschweige ein unbeschwertes Wochenende gönnen können. Dann wiederum stellen sich über eine längere Zeit nur „kleine Mandate“ ein, obwohl sowohl der Vermieter Ihrer Kanzleiräume als auch Ihre Angestellten darauf bestehen, dass Sie den eingegangenen Verpflichtungen zum Monatsanfang pünktlich nachkommen.
Aber für all das werden Sie entschädigt. Angestellte Anwälte erhalten durchschnittlich 50.000 € brutto im Jahr, freiberufliche Anwälte erzielen zwischen 52.000 € (Ost) und 75.000 € (West). (Quelle: Institut für Freie Berufe). Das kann natürlich nicht verbergen, dass die Durchschnittswerte im Einzelfall durchaus sehr erheblich über-, aber auch unterschritten werden. Großsozietäten bieten Bewerbern gelegentlich auch über 100.000 € an, Prädikatsexamina und Promotion vorausgesetzt, wobei Stagenbenotungen während der Referendarzeit und Sprachkenntnisse zunehmend gewichtet werden. Der Preis: 60 Stunden-Woche und jederzeitige Einsatzbereitschaft.
Es sind nicht nur die finanziellen Vorteile, die Sie zu Recht erwarten können. Es sind die vielen großen und kleinen Erfolgserlebnisse, wenn Sie als Richter die Anerkennung der streitenden Parteien für Ihr Judiz erfahren oder als Anwalt einen zufriedenen Mandanten vorfinden.
Alle Organe der Rechtspflege sind vom Gesetzgeber mit erheblichen Privilegien ausgestattet, die zugleich eine Verpflichtung beinhalten. Das Urteil eines Amtsrichters kann gelegentlich große gesellschaftliche Auswirkungen haben und das Engagement des Anwalts gestalterische Wirkung in vielen Bereichen erzielen. Denken Sie also nicht in kleinkarierten Formaten.
Abschließend noch eine Mahnung: Lernen Sie, mit wirklichen oder vermeintlichen Ungerechtigkeiten zu leben, gerade wenn Sie die Realisation von Gerechtigkeit zur verbindlichen Zielsetzung gemacht haben. Die Gerichtsbarkeit mit Ihren zahlreichen Instanzen und Rechtsmitteln ist nun einmal die institutionalisierte Ungewissheit der Rechtsgewinnung. Wenn Gerechtigkeitserkenntnis abrufbar und zweifelsfrei erfolgen könnte, wäre beides entbehrlich.
Hüten Sie sich vor zu viel Idealismus, denn enttäuschte Idealisten werden nicht selten zu verbitterten Gegnern ihres eigenen Anspruchs. Wenn zwei Parteien streiten kann nun einmal, wenn sie sich nicht gütlich einigen, nur eine obsiegen, und das wird nicht immer die Ihre sein können.
Lassen Sie sich also nicht drausbringen, wenn Sie wirkliche oder vermeintliche Ungerechtigkeiten nicht haben verhindern können. Wenn das Leben Kampf ist, so ist es der Prozess um Gerechtigkeit allemal. Aber der Einsatz verlohnt sich.
 

 

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